Das Gefängnis von Heung-nam im Schnee - Autobiografie - Sun Myung Moon - Mein Leben für den Weltfrieden

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- Kapitel 2 - Ein Fluss von Tränen fliest in meinem Herzen -



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Das Gefängnis von Heungnam im Schnee


Der wertvollste Besitz im Gefängnis nach Nahrung waren eine Nadel und ein Faden. Unsere Kleidung wurde durch die harte Arbeit abgenutzt und zerrissen, aber es war schwierig, eine Nadel und einen Faden aufzutreiben, um sie zu flicken. Nach einer gewissen Zeit schauten die Gefangenen wie Bettler in Lumpen aus. Es war wichtig, die Löcher in unserer Kleidung zu stopfen, um die kalten Winterstürme wenigstens ein bisschen abzuhalten. Ein kleiner Stofffetzen, den man zum Beispiel auf dem Weg gefunden hatte, war extrem wertvoll. Selbst wenn der Stoff mit Kuhdung bedeckt war, stritten die Gefangenen darum und versuchten ihn zu bekommen. Als ich die Säcke mit Düngemittel trug, entdeckte ich einmal eine Nadel, die in einem der Säcke steckte. Sie war wahrscheinlich bei der Herstellung des Sackes dort zufällig vergessen worden. Von dieser Zeit an wurde ich der Näher des Heungnam-Gefängnisses. Es war so eine Freude, diese Nadel gefunden zu haben. Jeden Tag flickte ich Hosen für die Mitgefangenen.


Selbst mitten im Winter war es in der Düngemittelfabrik so heiß, dass wir schwitzten. Sie können sich also vorstellen, wie unerträglich heiß es erst im Sommer war. Aber ich krempelte nicht ein einziges Mal meine Hose hoch und ließ meine Haut sehen. Selbst während der heißesten Zeit im Sommer hielt ich meine Hosenbeine in der traditionellen koreanischen Art zugebunden. Andere zogen ihre Hose aus und arbeiteten in der Unterhose. Aber ich war immer ordentlich gekleidet.

Wenn die Arbeit beendet war, waren unsere Körper mit Schweiß und Düngemittelstaub bedeckt. Die meisten Gefangenen zogen dann ihre Kleidung aus und wuschen sich im dreckigen Wasser, das von der Fabrik kam. Ich jedoch wusch mich niemals dort, wo andere meinen Körper sehen konnten. Stattdessen behielt ich ein halbes Glas von dem Wasser zurück, das wir als Tagesration bekamen. Dann stand ich früh am Morgen auf – während die anderen noch schliefen – und wischte mich mit einem kleinen Stofffetzen ab, den ich in dieses halbe Glas Wasser eintauchte. Ich benutzte auch die Zeit am frühen Morgen, um meinen Geist klar auszurichten und um zu beten. Ich betrachtete meinen Körper als kostbar und wollte ihn nicht leichtfertig vor den anderen entblößen.

In der Gefängniszelle waren 36 Menschen. Ich nahm mir eine kleine Ecke neben der Toilette. Dort würde niemand über mich steigen. Niemand wollte diesen Platz. Wir nannten es Toilette, aber eigentlich war es nur eine Tonschüssel ohne Deckel. Im Sommer lief die Flüssigkeit von der Toilette über und im Winter gefror sie. Man kann den grässlichen Gestank gar nicht beschreiben, der von dort kam, besonders da die Gefangenen oft wegen der salzigen Suppe und den harten Reisbällchen, die wir jeden Tag aßen, an Durchfall litten.

Ich saß neben der Toilette und hörte jemanden sagen: „Oh, mein Bauch.“ Er bahnte sich seinen Weg zur Toilette mit schnellen, kurzen Schritten. Sobald er seinen Hintern entblößte, kam der Durchfall herausgeschossen. Da ich unmittelbar neben der Toilette war, wurde ich oft angespritzt. Auch in der Nacht, wenn alle schliefen, hatte manchmal jemand Bauchschmerzen. Wenn ich Leute vor Schmerz aufschreien hörte, weil jemand auf sie getreten war, wusste ich, dass da jemand auf dem Weg zur Toilette war. Ich stand dann auf und presste mich in die Ecke. Aber wenn ich schlief und ihn nicht kommen hörte, musste ich die Folgen ertragen. Um diese unmögliche Situation auszuhalten, versuchte ich sogar diesen Anblick und die Klänge als eine Art Kunst zu betrachten. Trotzdem behielt ich den Platz bei der Toilette während der ganzen Zeit bei.

„Warum willst du hier bleiben?“, fragten andere Gefangene. Ich antwortete: „Hier fühle ich mich am wohlsten.“ Ich sagte das nicht nur so. Es war wirklich so. Das war der Platz, wo sich mein Herz am leichtesten fühlte.

Meine Nummer als Gefangener war 596. Die Leute riefen mich „Nummer fünf neun sechs.“ In schlaflosen Nächten starrte ich an die Decke und wiederholte diese Nummer für mich selbst immer und immer wieder (5 ist oh, 9 ist guh und 6 ist yuk). Wenn ich sie schnell sagte, dann klang sie sehr ähnlich dem Wort Eogul. Das ist ein koreanisches Wort, welches das Gefühl beschreibt, ungerecht behandelt zu werden. Ich war wirklich unrechtmäßig inhaftiert.

Die kommunistische Partei initiierte Dokbohoe, das sind Versammlungen, bei denen Zeitungen oder Bücher und politisches Material laut gelesen wurden – als eine Art Studium der kommunistischen Propaganda. Auch mussten wir Briefe der Dankbarkeit an Kim Il Sung schreiben. Das Sicherheitskommando behielt jede unserer Bewegungen ständig im Auge.

Jeden Tag wurde uns befohlen, Briefe der Dankbarkeit zu schreiben und auszudrücken, was wir gelernt hätten. Aber niemals schrieb ich auch nur eine Seite. Wir sollten in etwa Folgendes schreiben: „Aus seiner Liebe zu uns gibt uns unser Vater Kim Il Sung jeden Tag Nahrung zu essen, gibt uns Essen mit Fleisch und lässt uns ein so wunderbares Leben führen. Ich bin so dankbar dafür.“ Ich konnte nichts dergleichen schreiben. Selbst als ich dem Tod ins Auge schaute, konnte ich solche Briefe nicht an die atheistische kommunistische Partei schicken. Stattdessen arbeitete ich zehn Mal härter als die anderen, um im Gefängnis zu überleben. Der einzige Weg, solche Briefe nicht schreiben zu müssen, war, der Gefangene Nummer Eins zu sein. Wegen dieses Einsatzes wurde ich der beste Gefangene und erhielt sogar eine Auszeichnung von einem Funktionär der kommunistischen Partei.

Meine Mutter besuchte mich mehrmals in der Zeit meiner Gefangenschaft. Es gab keine Transportmittel von Jeongju direkt nach Heungnam. Sie musste einen Zug nach Seoul nehmen, wo sie zu einem Zug der Linie Seoul-Wonsan wechselte. Diese Reise dauerte für sie mehr als zwanzig zermürbende Stunden. Bevor sie losfuhr, unternahm sie große Mühen, um Misutkaru, das ist Reispulver, für mich vorzubereiten, so dass ihr Sohn, der in der Blüte seines Lebens im Gefängnis saß, etwas zu essen haben würde. Um dieses Pulver zu machen, sammelte sie Reis von unseren Verwandten, auch von den entfernten Verwandten der Ehemänner meiner älteren Schwestern. Wenn sie in den Besuchsraum des Gefängnisses kam und mich auf der anderen Seite des Glases stehen sah, fing sie sofort zu weinen an. Sie war eine starke Frau, aber der Anblick ihres Sohnes, der ein solches Leiden erfahren musste, machte sie schwach.

Meine Mutter überreichte mir die Seidenhose, die ich an meinem Hochzeitstag getragen hatte. Die Gefangenenuniform, die ich trug, war abgetragen und meine Haut schimmerte durch das Material. Anstatt aber die Seidenhose zu tragen, gab ich sie einem anderen Gefangenen. Was das Misutkaru betrifft, wofür sie sogar Schulden gemacht hatte, gab ich auf der Stelle alles weg, während sie zuschaute. Meine Mutter hatte ihr ganzes Herz und ihre ganze Hingabe in die Vorbereitung der Kleidung und des Essens für ihren Sohn investiert. Ihr brach das Herz, als sie mich all diese Dinge weggeben sah, ohne irgendetwas für mich zu behalten.

„Mutter“, sagte ich zu ihr. „Ich bin nicht nur der Sohn eines Mannes namens Moon. Bevor ich ein Sohn des Moon-Klans bin, bin ich ein Sohn der Republik Korea. Und vorher bin ich ein Sohn der Welt und ein Sohn des Himmels und der Erde. Ich denke, dass es richtig für mich ist, diese als Erstes zu lieben und erst danach deinen Worten zu folgen und dich zu lieben. Ich bin nicht der Sohn einer engstirnigen Person. Bitte verhalte dich so, wie es deinem Sohn gegenüber angebracht ist.“

Meine Worte waren so kalt wie Eis für sie. Und es schmerzte mich so sehr, sie weinen zu sehen. Ich fühlte, als ob mein Herz zerrissen würde. Ich vermisste sie so sehr, dass ich manchmal mitten in der Nacht aufwachte und an sie dachte. Aber das war noch mehr Grund dafür, meinen Gefühlen nicht nachzugeben. Ich war eine Person, die Gottes Arbeit verrichtete. Es war für mich wichtiger, einen Menschen noch ein bisschen wärmer einzukleiden und seinen Magen mit ein bisschen mehr Essen zu füllen, als über meine persönliche Beziehung zu meiner Mutter besorgt zu sein.

Selbst im Gefängnis hatte ich Freude daran, zu jeder nur möglichen Zeit mit Leuten zu reden. Es gab immer Leute um mich herum, die gern zuhörten, was ich zu sagen hatte. Selbst im Hunger und in der Kälte des Gefängnislebens lag Wärme darin, mit den Menschen zu teilen, mit denen ich eine Herzensverbindung hatte. Aus den Beziehungen, die in Heungnam entstanden, blieben mir zwölf Menschen, die sowohl Kameraden als auch wie eine Familie für mich waren und mit denen ich den Rest meines Lebens verbringen könnte. Unter ihnen gab es einen berühmten Pastor, der als Präsident der Vereinigung der Christlichen Kirchen in den fünf nördlichen Provinzen Koreas gedient hatte. Dies waren Menschen, mit denen ich intensive Gefühle in Situationen teilte, in denen unser Leben auf dem Spiel stand. Das brachte sie mir näher als mein eigenes Fleisch und Blut. Ihre Anwesenheit dort gab meinem Gefängnisaufenthalt eine Bedeutung.

Ich betete drei Mal täglich für die Menschen, die mir geholfen hatten, und für die Mitglieder meiner Kirchengemeinde in Pyeongyang, indem ich laut jeden ihrer Namen sagte. Während ich das tat, fühlte ich, dass ich tausendfach den Menschen vergelten sollte, die mir eine Hand voll Essen zukommen ließen, welches sie in ihren Kleidern versteckt hatten.




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