Ein Messer, das man nicht schleift ... - Autobiografie - Sun Myung Moon - Mein Leben für den Weltfrieden

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- Kapitel 2 - Ein Fluss von Tränen fliesst in meinem Herzen -



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Ein Messer, das man nicht schleift, wird stumpf


Nach Abschluss der Allgemeinen Schule zog ich nach Seoul. Dort lebte ich allein im Heukseok-Dong-Viertel und besuchte die Gyeongseong-Schule für Gewerbe und Technik. Der Winter in Seoul war sehr kalt. Es war nicht ungewöhnlich, dass die Temperatur auf minus 20 Grad Celsius sank. Wenn das geschah, fror der Han-Fluss vollkommen zu. Das Haus, in dem ich wohnte, lag auf einer Anhöhe. Es gab kein fließendes Wasser. Wir holten Wasser aus einem Ziehbrunnen. Dieser war so tief, dass wir den Kübel an einem Seil, das über zehn Armlängen maß, hinunterlassen mussten, bis er das Wasser erreichte. Immer wieder riss das Seil, bis ich eine Kette am Eimer anbrachte. Jedes Mal, wenn ich Wasser heraufzog, froren meine Finger an der eisigen Kette fest. Ich konnte meine Hände nur warm halten, indem ich sie anhauchte.


Um mich vor der eisigen Kälte zu schützen, nutzte ich meine Strickkenntnisse und machte mir einen Pullover, dicke Socken, eine Mütze und Handschuhe. Die Mütze war so schick, dass mich manche Leute in der Stadt für eine Frau hielten.

Ich heizte mein Zimmer nicht einmal an den kältesten Wintertagen, hauptsächlich deshalb, weil ich kein Geld dafür hatte. Ich dachte auch, dass es ein Luxus sei, ein Dach über dem Kopf zu haben, verglichen mit den Obdachlosen, die sich auf der Straße irgendwie warm halten mussten. Einmal war es so kalt, dass ich unter der Bettdecke eine Glühbirne wie eine Wärmflasche an meinen Körper drückte. Während der Nacht verbrannte ich mich, so dass sich an dieser Stelle die Haut ablöste. Noch heute denke ich, wenn jemand Seoul erwähnt, als Erstes daran, wie kalt es damals dort gewesen war.

Mein Essen bestand aus einer Schale Reis und nie mehr als einer einzigen Beilage. Zu einer koreanischen Mahlzeit gehören normalerweise bis zu zwölf Beilagen. Ich aß niemals mehr als eine. Eine Beilage genügte mir. Auf Grund dieser Angewohnheit von damals, als ich allein lebte, brauche ich auch heute nicht viele Beilagen. Mir ist es lieber, ich habe nur eine Beilage, die gut zubereitet ist. Es erscheint mir umständlich, eine Mahlzeit mit vielen Beilagen zu essen. Als ich damals in Seoul zur Schule ging, aß ich niemals ein Mittagessen. Ich hatte mir schon als Kind, als ich in der Natur umherstreifte, angewöhnt, nur zweimal am Tag zu essen. Diesen Lebensstil behielt ich fast bis zu meinem 30. Lebensjahr bei.

Meine Zeit in Seoul ließ mich gut verstehen, wie viel Arbeit es macht, einen Haushalt zu führen.

In den 1980er Jahren kehrte ich einmal nach Heukseok- Dong zurück und war überrascht, dass das Haus, in dem ich einst gelebt hatte, noch stand. Das Zimmer, in dem ich gewohnt hatte, und der Hof, in dem ich meine Wäsche zum Trocknen aufgehängt hatte, waren noch da. Es machte mich allerdings traurig, dass der Brunnen verschwunden war, an dem ich meine eisigen Hände anhauchen musste, während ich den Kübel mit Wasser hochzog.

Während meiner Zeit in Heukseok-Dong machte ich folgenden Satz zu meinem Motto: „Bevor du versuchst, das Universum zu beherrschen, vervollkommne zuerst deine Fähigkeit, dich selbst zu beherrschen.“ Das bedeutet: Um die Kraft zu haben, die Nation und die Welt zu retten, musste ich zuerst meinen eigenen Körper trainieren. Ich trainierte mich durch Gebet und Meditation sowie durch Sport und körperliche Übungen. Dadurch erreichte ich, dass ich mich durch nichts von meinen Zielen ablenken ließ, weder durch Hunger oder irgendwelche Gefühle noch durch das Verlangen des physischen Körpers. Wenn ich eine Mahlzeit aß, sagte ich: „Reis, ich möchte, dass du zum Dünger für die Aufgabe wirst, für die ich mich vorbereite.“ Ich lernte boxen, Fußball spielen und Selbstverteidigungstechniken. Darum bin ich heute – auch wenn ich im Vergleich zu meiner Jugendzeit etwas an Gewicht zugenommen habe – noch immer beweglich wie ein junger Mensch.

In der Gyeongseong-Schule für Gewerbe und Technik war es üblich, dass die Studenten abwechselnd ihre Klassenzimmer reinigten. Ich entschloss mich, dies in meiner Klasse täglich allein zu tun. Es war nicht irgendeine Art von Strafe. Es war der aus meinem Inneren ganz natürlich kommende Wunsch, die Schule mehr zu lieben als irgendjemand anderer. Am Anfang versuchten einige mir zu helfen, aber sie erkannten, dass ich das nicht schätzte und es vorzog, die Arbeit allein zu machen. Schließlich beschlossen meine Klassenkameraden: „Mach weiter, mach es allein.“ Und so wurde das Putzen zu meiner Aufgabe.

Ich war ein ungewöhnlich ruhiger Student. Im Gegensatz zu meinen Klassenkameraden beteiligte ich mich nicht an oberflächlichem Gerede. Des Öfteren sprach ich einen ganzen Tag lang nichts. Vielleicht war das der Grund, warum mich meine Klassenkameraden, obwohl ich nie in physische Auseinandersetzungen verwickelt war, respektvoll behandelten und darauf achteten, wie sie sich in meiner Gegenwart benahmen. Wenn ich zur Toilette ging und sich dort schon mehrere Studenten angestellt hatten, ließen sie mich sofort vor. Wenn jemand Probleme hatte, war ich häufig derjenige, den man um Rat fragte.

Während der Unterrichtsstunden stellte ich hartnäckig viele Fragen. Nicht wenige Lehrer waren wegen dieser Fragen mit ihrer Weisheit bald am Ende. Wenn wir zum Beispiel in Mathematik oder Physik eine neue Formel lernten, fragte ich: „Von wem wurde diese Formel aufgestellt? Bitte erklären Sie es uns Schritt für Schritt, damit ich sie genau verstehen kann.“ Und ich ließ mich nicht zurückweisen, bis ich eine klare Antwort erhalten hatte. Ich war den Lehrern gegenüber unnachgiebig und bohrte immer tiefer. Ich konnte kein Prinzip akzeptieren, bevor ich es nicht analysiert und von Grund auf verstanden hatte. Ich fing an mir zu wünschen, dass ich selbst diese wunderschöne Formel entdeckt hätte. Die Hartnäckigkeit, mit der ich als kleiner Junge die ganze Nacht geweint hatte, zeigte ich auch bei meinem Studium. Genau wie beim Beten vertiefte ich mich mit ganzer Hingabe und mit tiefem Ernst auch in mein Studium.

Jede Aufgabe, die wir erledigen, verlangt Ernsthaftigkeit und Hingabe und zwar nicht nur für ein oder zwei Tage. Es muss ein kontinuierlicher Prozess sein. Ein Messer, das man einmal benutzt und niemals schärft, wird stumpf. Das trifft auch auf Ernsthaftigkeit und Hingabe zu. Wir müssen unsere Anstrengungen Tag für Tag mit dem Bewusstsein fortsetzen, dass wir unser Messer täglich schärfen. Was auch immer unsere Aufgabe ist, wenn wir uns auf diese Weise einsetzen, erreichen wir letztendlich einen mystischen Zustand. Wenn man einen Pinsel nimmt, sich ernsthaft und hingabevoll auf seine Hand konzentriert und zu sich sagt: „Ein bedeutender Künstler wird kommen und mich unterstützen“, dann kann man ein wunderschönes Bild malen, das die Welt inspirieren wird.

Ich bemühte mich, schneller und präziser als alle anderen sprechen zu lernen. Dazu ging ich in einen kleinen Vorraum, wo mich niemand hören konnte, und übte, Zungenbrecher laut aufzusagen. Ich übte mich darin, das, was ich sagen wollte, sehr schnell auszusprechen. Mit der Zeit konnte ich zehn Worte in einem Zeitraum sagen, in dem andere nur ein Wort aussprachen. Sogar heute kann ich noch sehr schnell sprechen, obwohl ich alt bin. Einige sagen, ich spräche so schnell, dass sie mir nicht folgen könnten. Aber mein Herz ist in solcher Eile, dass ich es nicht aushalte, langsam zu sprechen. Ich habe so viele Dinge im Sinn, die ich sagen möchte. Wie kann ich da langsam sprechen?

In dieser Hinsicht bin ich wie mein Großvater. Er sprach sehr gern mit Menschen. Mein Großvater konnte bei uns zuhause mit Besuchern im Gästezimmer leicht drei oder vier Stunden reden und ihnen seine Ansichten über die Tagesereignisse erläutern. Ich bin auch so. Wenn ich mit Menschen zusammen bin, mit denen ich eine gute, herzliche Kommunikation habe, vergesse ich vollkommen die Zeit und weiß gar nicht mehr, ob die Nacht hereinbricht oder gerade die Sonne aufgeht. Die Worte kommen wie ein unaufhaltsamer Strom aus meinem Herzen. In diesem Zustand mag ich nichts essen, ich möchte nur reden. Für die Menschen, die mir zuhören, ist es schwer und Schweißperlen treten auf ihre Stirn. Auch auf meinem Gesicht erscheinen Schweißtropfen, wenn ich fortfahre zu sprechen. Und niemand wagt es, sich zu verabschieden und zu gehen. Oft bleiben wir dann die ganze Nacht zusammen.




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